F a m i l i e n Q u i r i n g

Aus meinem Tagebuch                                                                                   (geschrieben von Maria Quiring, geborene Loewen, Vancouver; Canada)

Wir sind aus Rußland herausgefahren am 29.Oktober 1943. Unser Sohn Hans war 10 Jahre alt und Tochter Lina 6 Jahre. Mit 15 Personen, etwas Eßbarem und Kleider auf einem Leiterwagen, mit Pferden bespannt, verließen wir unser Heimatdorf Schönau Nr. 13. Mit vielen Schwierigkeiten und zu Fuß erlangten wir den 11.Dezember an der polnischen Grenze das Winterlager in Ripna. Franz brach sich dort das Bein beim Baum fällen, um Holz fürs Zimmerheizen zu machen. 

Den 11.Februar 1944 verließen wir das Lager und fuhren mit der Bahn weiter. Lina wurde uns krank und so mußten wir sie in Pabienitza ins Krankenhaus bringen lassen. Es war am 14.Februar, als wir in Litzmannstadt durch die Entlausung mußten, bei der man sie uns abnahm. Wir fuhren weiter und kamen den 17.Februar in Birnbaum ins Lager. Daselbst wurden wir 10 Tage mit allem Nötigem versorgt und anschließend auf die Gutshöfe verteilt. Einen Monat waren wir in Neufährdorf, als Schwester Lensch Lina aus dem Krankenhaus abholte und zu uns brachte. Vom 1.April dann waren wir in Schmiedeberge und arbeiteten auf einem Gut bei Pingel. Im Mai wurden wir in Zirke eingebürgert. 

Den 8.September 1944 wurde Franz in die Wehrmacht eingezogen. 4 Monate konnten wir uns schriftlich verständigen, als wir am 21.Januar 1945 aus dem Warteland fliehen mußten, weil die Russen die Deutschen zurücktrieben. Auch diesmal wurden wir, mit noch 3 weiteren Familien, auf Leiterwagen gepackt, nur mit den nötigsten Dingen ausgestattet und fuhren so bis Birnbaum. Von dort wurden wir dann in Züge zum weiteren Transport verladen. Am 24. kamen wir nach Potsdam zu Frau Wildgrube, bei der wir 2 Monate blieben. Wir wurden dort schön versorgt mit warmem Quartier und Essen. Es ging uns dort gut, aber weil die Stadt sich auf große Bombenangriffe einstellen mußte, verließen als erste Frauen mit Kindern den Ort. Auch wir fuhren weiter bis nach Westprignitz. Dort wurden wir bei einem Bauern Warmstädt im Dorf Deibow einquartiert. Es war Anfang April und am 4.Mai erreichten uns die Russen. Es war eine schreckliche Zeit! Am 9.Mai wurde zwar der Waffenstillstand geschlossen, aber der Russe hatte sich noch nicht ausgetobt und richtete schlimme Sachen an. Meine Brüder Jacob und Peter nahmen sie auch mit, sie kehrten aber nach einer Zeit wieder zurück. Bruder Peter verlor ein Auge in der Kriegszeit. Uns wurde in Berlin in der amerikanischen Zone ein "schwarzes" Lager angeboten – ohne Fenster, ohne Heizung, und zu essen gab es auch nichts. Es gab nur diese Alternative wenn man nicht nach Rußland zurück und in die Hände der Russen fallen wollte. Die russische Kommandantur zwang uns schließlich zur Unterschrift und damit zur Einwilligung, nach Rußland zurückgebracht zu werden. Nachts wurde gepackt und der Bürgermeister Schäfer stellte den anderen Tag eine Fuhre zur Verfügung, um uns nach Grabow zum Bahnhof zu fahren. Dort lagen wir drei Zutki dann auf dem Dachboden bei guten Leuten namens Schulze. Die Züge waren überfüllt und die Stadt war voller russischer Soldaten, die uns nicht sehen durften. 

Am 7.November, am Tag der russischen Oktoberrevolution, während die Russen tranken und lustig waren, sollten wir nach Berlin abfahren. Weil die Züge aber völlig überfüllt waren, Onkel Peter und Lena Hamm hatten noch Platz mit samt unserem Gepäck in einem Viehwagen gefunden, kletterten wir, um nicht noch länger unnötig auf Sitzplätze in weiteren Zügen warten zu müssen, einfach auf das Dach eines Waggons des nächsten Zuges. So erreichten Tina mit ihren drei Kindern, ich mit Hans und Lina und Schwester Lenah Wittenberge. Dort angekommen durften wir dann unsere Fahrt bis Berlin im Waggon fortsetzen und kamen dort am 8.November am Victoria-Luise-Platz an. Die Vorausgefahrenen kamen uns dort dann schon entgegen. In dieser Zeit haben wir viel gehungert! Wir waren 4 Familien zusammen: Mama mit Jakob, Peter und Lenah, Schwester Tina H. mit 4 Mädchen, Bruder Hein`s Mariechen mit 3 Kindern und ich mit meinen beiden. Um nicht zu verhungern sind wir abwechselnd hamstern gegangen. Der Herr Kröker, der Leiter des Unternehmens, ließ uns holländische Pässe anfertigen, die uns vor den Russen sicherten, weil wir eben doch nicht nach Rußland zurückwollten. Durch Gottes Fügung, als die Not am größten war, erfuhren die staatliche Mission und die Quäker von uns, die uns versorgten. Am 10.Januar 1946 starb Schwester Franz Dück im Krankenhaus. 

Den 9.März hatte Herr Kröker es geschafft, daß wir von den Amerikanern im U.N.R.R.A.-Lager aufgenommen wurden in Zehlendorf Teltower Dom, wo wir mit Essen, Kleidern und Quartier versorgt wurden. Wir lebten in Baracken, aber es ging uns gut! Am 29.März konnten wir nach all dem Erlebten mit großer Freude das Wiedersehen mit meinen Brüdern Peter und Hein feiern. Den 5.Mai starb Gerhard, Sohn von Tina Quiring und Rudi im Alter von ungefähr 10 Monaten. Den 18.Juni kamen die Russen ins Lager und am 24. die Amis, um uns auszufragen. 

Den 7.August nahm das M.C.C. durch Peter Dyck uns ins Mennonitenlager Lichterfelde West auf. (Den 19.Januar 1947 hatte Br. Joseh mit Tina Wiebe Hochzeit.) Den 22.September hatte Peter Koop mit Netta Janzen Hochzeit, 1946. Den 23.September fuhren wir zur Görmerstraße in ein anderes Lager, 1946. Den 30.Januar 1947 10 Uhr abends fuhren wir mit amerikanischer Bewachung zum Bahnhof Lichterfelde West. Am 31. Januar 3 Uhr nachts fuhren wir dann mit dem Zug mit amerikanischen Soldaten, die uns in jedem Waggon bewachten, durch die russische Besatzungszone aus Berlin raus nach Bremerhaven. 

Am 1.Februar 12 Uhr mittags stiegen wir dann in das holländische Schiff Volendam ein und ¼ nach 4 Uhr fuhren wir ab Richtung großem Ozean, mit gemischten Gefühlen und Ängsten, was die Zukunft uns bringen wird. Sonnabend, den 8., stand das Schiff den ganzen Tag bei einer Kanarischen Insel. Den 9.Februar 1947 wurde Peter Volendam Janzen auf dem Schiff auf dem Ozean geboren. Den 14.Februar sind wir über den Äquator gefahren. Vormittags gab’s noch eine Schiffstaufe. Am 16. war ein Mädchen in den Ozean gesprungen. Es dauerte einige Stunden, bis man sie schließlich rettete. Abends fand dann ein Dankfest und am 17. fand auf dem Schiff ein Sängerfest statt. 

Den 22.Februar 1947 erreichten wir schließlich mit 2304 Menschen an Bord Argentinien und den Hafen Buenos Aires. Am 23. sind dann schon die ersten mit dem Flußdampfer nach Chaco-Fernheim gefahren. Unter ihnen waren auch Bruder Hein mit Familie und Schwester Tina Quiring mit ihren Kindern. Den 24. verließen dann alle das Schiff und wurden in die Lager gebracht. Wir lebten dort in Zelten für insgesamt 2 Monate, weil es wegen der ständigen Revolutionen in Paraguay zu gefährlich war, regelmäßig Transporte durchzuführen. Am 25. fuhr der 2.Transport mit Oma Janzen und ihren Kindern Richtung Friesland. Sonntag, den 13.März wurde ich mit 36 Seelen vom Ältesten Plennert und Peter Dyck im Lager getauft. Am 24.April verließen wir endlich unsere Zelte und Buenos Aires und erreichten am 1.Mai Asuncion. Von dort ging der Transport dann weiter in ein anderes Lager nach San Lorenzo. Dort mußten wir insgesamt 4 Monate ausharren. Um den Hunger zu stillen, aßen wir dort mit den anderen Lagerinsassen alte harte Mandioka, schwarze Bohnen mit Würmern und Reis mit Wasser. Den 10.September fuhr ich mit Hans und Lina aufs Land, um das Grundstück zu besichtigen, daß das M.C.C. inzwischen für uns Mennoniten gekauft hatte. 

Am 13.September konnte die ganze Familie das Lager verlassen und das neue Land besiedeln, gerade rechtzeitig zu Hans Geburtstag. Wir schlossen uns dort in Gruppen zusammen und rodeten den Wald, um aus dem Holz unsere Häuser zu errichten. Zunächst wurde das Gerüst aufgestellt und dann das Dach aufgesetzt, das aus Schilf gemacht war, das wir Frauen mit bloßen Händen aus dem Boden ausgerissen hatten. Als das Gerüst mit Dach fertig war, das eigentlich die Schule werden sollte, zogen zunächst all diejenigen darunter, die in dem zukünftigen Dorf auch bleiben wollten. Das war am 23.Oktober 1947! Am 19. November erhielt ich die erste Karte von Franz aus Rußland.! 

Den 20.November konnten wir dann endlich unter unser eigenes Dach ziehen! Den 12.Februar 1948 erhielt ich den 1.Brief von Franz aus Deutschland! Den 11.April hatte Bruder Peter mit Rita Braun Hochzeit. Den 3.November 1948 ist mein lieber Franz bei uns eingetroffen. Nach über 4 Jahren durften wir uns wiedersehen und begrüßen!! Ziegeln hatten wir für unser Haus schon aus Lehm gefertigt und Franz machte dann schon die Fensterrahmen und Türengerüste und mauerte die Wände. Ein Brunnen wurde gemeinsam gegraben, der 25 m tief war und auf den die Sonne senkrecht schien. Gepflanzt wurde hier Mandioka, Süska, Kafier, Mais, Erdnüsse, Bohnen und Arbusen. An Ungeziefer mangelte es nicht. Heuschrecken, Raupen, Ameisen, verschiedene Arten von Schlangen, Landkrokodile, Panzerschweine, Affen, Papageien und Mücken und Moskitos ohne Massen. Wir machten uns jeden Abend Rauch, weil wir sonst vor lauter Mücken nicht schlafen konnten. So hatten wir dann gearbeitet! Ein Jahr nach dem anderen! Ich ging oft mit den Kindern in den Busch, um ihn zu schlagen und so mehr Platz zur Bepflanzung zu schaffen. Franz arbeitete im Chaco, bei den Einheimischen auf dem Traktor beim Wegebau. Er kam jeden 2.Sonntag nach Hause um uns zu sehen und seinen Lohn mitzubringen. Er kaufte davon Kühe und Pferde und wir ließen davon unser Haus größer bauen. Wir errichteten auch noch einen Stall für das Vieh, bauten eine Hühnerstall und einen Schweinetrog, so daß wir einen richtigen Bauernhof hatten – der uns schon gefiel. Am 1.August wurde Arthur geboren. Es war nicht leicht, in der Armut auch noch ein Baby zu haben, aber es wurde jedes Jahr etwas leichter und wir haben ihn mit Liebe gepflegt und großgezogen. So haben wir in den 8 Jahren, die wir dort waren, auch noch viel Schönes bei all dem Schweren gehabt. 

Den 14.Oktober 1955 verließen wir No. 10 Grunewald, Colonie Volendam Richtung Asuncion. All die Geschwister von beiden Familienseiten waren zum Abschied gekommen, alle Verwandten und Bekannten begleiteten uns bis zur Straße, um uns zu verabschieden. Bruder Jasch und Bruder Peter fuhren uns zum Hafen. Wir waren ein paar Tage im Mennonitenheim und am 20.Oktober verließen wir dann endgültig Paraguay mit dem Flugzeug. Nach 2 Stunden erreichten wir Agwasu ???, um von dort dann nach 2 weiteren Flugstunden Curitiba zu erreichen. Weiter flogen wir 1 ½ Stunden, um dann auf einem militärischen Flugplatz bei Sao Paulo wegen dichten Nebels zu landen. Es durfte niemand das Flugzeug verlassen, bis schließlich ein Bus kam, der uns nach einer Stunde Busfahrt zum Real Hotel brachte. Wir bekamen dort schöne Zimmer und konnten uns dort 2 Nächte und 1 ½ Tage ausruhen. In dieser Zeit der Reise erkrankte Lina, die sich aber nach unserer Ruhezeit im Hotel schon wieder so weit erholte, daß sie unsere weitere Reise überstehen konnte. Von Sao Paulo ging es weiter in einem großen Flugzeug mit 4 Zwischenlandungen bis nach Miami in 25 Stunden. Dort hatten wir in einem Hotel einen 24 stündigen Aufenthalt bevor es dann zunächst nach New York (4 ¼ Stunden) und dann nach Toronto weiterging (2 Stunden). Wir landeten am 25.Oktober um 9 Uhr morgens. Weil unser Flugzeug Verspätung hatte, mußten wir bis abends 11 Uhr ohne Essen warten, bis es dann schließlich gestärkt durch die Verpflegung der roten Feder mit einem Zug nach Winnipeg weiterging. 

Am 27. um 9 Uhr morgens erreichten wir dann unser Ziel! Victor Köhn, Artur Buller und Gerhard Isaaken begrüßten uns dort und Gerhard Isaaken nahm uns dann in seinem Auto mit zu sich nach Hause. Wir blieben bis zum 5.November und fuhren von dort dann weiter mit der Bahn bis nach British Columbia, unserer neuen Heimat.

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