Individual Notes
Note for: Helmut Wilhelm QUIRING, 8 NOV 1928 - 28 JAN 1997
Index
Occupation: Maschinenschlosser
Religion: RK
Burial: Place: Bezirksfriedhof Marten
Individual Note: Mein Vater hatte vor nunmehr ber 2 Jahren, also 1992, einen Schlaganfall
erlitten. Er lag ca. 2 Wochen im Krankenhaus und hatte sich den Umst„nden
entsprechend so weit regeneriert, daá er wieder Auto fahren kann und auch sonst
sehr bewuát am Leben teilnahm.
Mein Vater ist tot Morgens um 8.00 Uhr bekam ich einen Anruf meiner Schwester
Elke. Ich hatte die Nacht schon sehr unruhig geschlafen und dachte, w„hrend das
Telefon l„utete, das hat nichts Gutes zu bedeuten. "Peter, Peter, komm ganz
schnell Der Vater ist tot!" Mir blieb das Herz stehen! Ich war v”llig
verzweifelt, hilflos, entsetzt Das Erste, was ich machte, war Ralf anzurufen
und anschlieáend Jutta. Sie brachte mich dann auch zum Haus meiner Eltern. Als
ich dort ankam, verlieá gerade der Krankenwagen das Grundstck. Ich fand meine
Mutti weinend und immer wieder die Frage stellend, "Ist er tot?" vor. Mein
Bruder Udo und meine Schwester Elke waren tief betroffen. Ich ging mit meinem
Bruder dann in das Sterbezimmer meines Vaters. Er lag da, mit einer Mullbinde
den Kiefer hochgebunden, das Ende zu einer Schleife oben auf dem Kopf verknotet.
Es war schrecklich Und er war so kalt! Mein Vater hatte immer warme weiche
H„nde Ich gab ihm einen Kuá auf seine kalte Stirn, hielt seine Hand und
verabschiedete mich betend von ihm.
Stationen seines Lebens:
Helmut Quiring war ein leidenschaftlicher Leser. Er deckte sich manchmal mit
Bchern regelrecht ein. Und frher, als man Romane noch an den
Lottoannahmestellen leihen konnte, kam es vor, daá er sich noch dort, in dem
kleinen Laden, auf einem Hocker sitzend, vollkommen in einem Buch verlor. Ein
Buch konnte ihn fesseln, konnte ihn Zeit und Mdigkeit vergessen lassen. Bis in
die Nacht hinein lag er dann wach und fieberte ber den bedruckten Seiten. Die
Zeit? Vergessen. Der Schlaf? Sp„ter. Er hat auch so gelebt Er hat das, was er
tat, auch so getan: Leidenschaftlich. Selbstvergessen. Mit ganzem Herzen.
Schon seine Jugend war von diesem markanten Wesenzug gepr„gt. 1928, am Ausgang
der
, in Dortmund, in der Paulinenstraáe geboren, lieá
sich der Junge von dem faszinieren und begeistern, was auch die meisten
Erwachsenen mitriá, die es vielleicht h„tten besser wissen mssen: Von den
Werten und Zielen des Dritten Reiches. Als zarter, sensibler Junge wurde er
Pimpf in der HJ, und als Sechsehnj„hriger Wehrmachtssoldat an der Front. Und als
er nach kurzer Kriegsgefangenschaft zurckkam, machte er die erschtternde
Erfahrung seiner ganzen Generation: Nicht nur die Heimat war in Trmmern, nicht
nur seine Stadt war zerst”rt, sondern auch die Hoffnungen und Tr„ume einer
Jugend. Ist es ein Wunder, daá es den M„nnern dieser Generation schwerfiel, ber
ihre Gefhle zu sprechen? Wenn sie lieber den Schmerz ber ihre betrogene Jugend
vergessen wollten und sich dem Wiederaufbau widmeten? Das tat auch mein Vater.
Und er tat es mit der ihm eigenen Hingabef„higkeit. Anfang der vierziger Jahre
hatte er bei der Werksunion, den sp„teren Hoeschwerken, eine Lehre als
Maschinenschlosser gemacht. Nach der Kriegsgefangenschaft begann er in dem
gleichen Betrieb zu arbeiten und und blieb ihm sein ganzes langes Arbeitsleben
lang treu. Der Betrieb war sein zweites Zuhause. Auch Hoeschianer war er von
ganzem Herzen. Auch in seiner Arbeit war er leidenschaftlich, auch von ihr lieá
er sich fesseln. Er nahm zun„chst zus„tzliche Schichten an, um seiner Familie
die wirtschaftliche Grundlage zu sichern, er verschaffte sich Anerkennung und
Respekt, so daá er betriebsintern zum Meister bef”rdert wurde. Er drckte als
Vierzigj„hriger noch einmal die Schulbank, um auch vor der Industrie und
Handelskammer Dortmund seine Meisterprfung abzulegen und so bei Hoesch den
Status eines Angestellten zu erlangen. "Wenn man etwas richtig anpackt, dann
schafft man es auch" - so sein Motto, "man muá es nur wollen, und dann in
Angriff nehmen und bis zum Ziel durchziehen." So wie man ein Buch in einer Nacht
durchliest. Und mit dieser Zielstrebigkeit und Gradlinigkeit hat er auch fr die
Familie gesorgt. Was Vater fr uns war, wird vielleicht am deutlichsten an einem
der Groáprojekte seines Lebens: Er baute ein Haus. Aus eigener Kraft, mit seiner
H„nde Arbeit schuf er buchst„blich ein Zuhause fr uns. Dieser Bau hat ihn viel
Lebenskraft gekostet. Aber so wollte er das: Etwas schaffen aus eigener Kraft,
sein Herzblut geben, und dann sagen k”nnen: "Ich bin glcklich, daá ich das
geschafft habe."
hieá sein Spruch: Nicht lange fackeln, nicht viel diskutieren, die
Schppe in die Hand nehemn und anfangen zu graben. Diese Entscheidung pr„gte
auch sein soziales Leben, die Art, wie er Mensch unter Menschen war - Mitmensch
eben Schon 1947 wurde er Mitglied der IG-Metall. Ein Mann wie er - gradlinig,
aufrichtig, hartn„ckig - pflegte nicht mit seiner Meinung hinter dem Berg zu
halten. Ein Bekannter sagte von ihm: "Er frchtete weder Tod noch Teufel, wenn
es darum ging, die Wege zu betreten, die er fr die richtigen hielt und das Ziel
zu verfolgen, das er sich vorgenommen hat." Natrlich kann so ein Mensch gar
nicht pflegeleicht sein, natrlich wird er immer wieder unbequem. Mit dieser
zielstrebigen, unbequemen Art setzte er sich zum Beispiel als Mitvorsitzender
der Elternpflegschaft der Volksschule dafr ein, daá aus der evangelischen
Siemensschule und der katholischen St. Anna-Schule, die damals unter einem Dach,
in einem Haus, getrennt arbeiteten, eine berkonfessionelle Schule wurde.
Und diese unbequeme, zielstrebige Art war wohl auch die Voraussetzung, um in
einem weiteren Groáprojekt seines Lebens zum Erfolg zu kommen. Vater war erster
Vorsitzender der Siedlergemeinschaft Dorstfeld-Sd. Und als sich in den
achtziger Jahren, nach dem Bau der Siedlung, herausstellte, daá der Baugrund,
auf dem die H„user errichtet wurden, verseucht war, lieá der leidenschaftliche
Mann seinen Protest bis in die h”chsten politischen Ebenen laut werden. Auf
einer denkwrdigen SPD-Versammlung, an der auch der damalige Parteivorsitzende
Willy Brand teilnahm, meldete sich Vater zu Wort. Der Bundestagsabgeordnete des
SPD-Wahlkreises wollte ihn zurckpfeifen, und Willy Brand sagte:"Laá diesen Mann
reden" Vielleicht hatte er ja gesprt, daá sich hier einer zu Wort meldet, der
sich nicht so ohne weiteres zurckpfeifen l„át. In einem anschlieáenden
Privatgespr„ch sicherte Willy Brand gegenber meinem Vater seine Hilfe fr die
Siedlergemeinschaft zu. Die Stadt zahlte Entsch„digungen, die besonders
betroffenen Bewohner der Kernsiedlung konnten ihre H„user an die Stadt
zurckverkaufen und mit dem Geld eine neue Existenz aufbauen. Damals ist Vater
in die SPD eingetreten. Er hat diesen Erfolg nie an die groáe Glocke geh„ngt.
Vielleicht hat er im Stillen „hnlich gedacht wie nach dem Hausbau: "Ich bin
glcklich, daá ich es geschafft habe" Das war Vater. Auch wenn Vater Karten
spielte, war er mit ganzem Herzen dabei. Er war ein leidenschaftlicher
Kartenspieler und hat der Mutti einmal gestanden, daá er jeden Tag Karten
spielen k”nnte.
šber einem Buch, am Arbeitsplatz, beim Hausbau, bei der Versorgung der Familie,
in der Verantwortung als Brger, beim Spiel - was er tat, tat er mit
Leidenschaft, selbstvergessen und mit ganzem Herzen. So war Vater. Sein
Lebenskreis schloá sich am 28. Januar. Bezeichnenderweise litt er an dem Organ,
dessen ungeteilte, leidenschaftliche Kraft er Zeit seines Lebens in alles
investierte, was er tat - an seinem Herzen. Montags saá er noch mit uns zusammen
beim Grnkohlessen, spielte Skat und abends ging er zu Bett, um nicht mehr
aufzuwachen. Wie ein Mann nach einem langen Arbeitstag.